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Rethink Compliance: Von klassischer Compliance-Arbeit zum nachhaltigen Wettbewerbsvorteil

#rethinkcompliance Blog | Beitrag vom 23.06.2025

Die Ausgangsfrage dieses Artikels lautet: Kann Compliance einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil entwickeln? Auf den ersten Blick scheint dies ausgeschlossen, da alle Banken denselben regulatorischen Anforderungen unterliegen. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich: Der Unterschied liegt nicht in den Regeln, sondern in deren Umsetzung. Wer Compliance effizient, intelligent und strategisch betreibt, kann Kosten senken, Vertrauen stärken und schneller auf Marktveränderungen reagieren. Hier entsteht der Spielraum für einen echten Wettbewerbsvorteil.

Der Begriff „rethink“ – also neu denken, umdenken, hinterfragen – ist ein Aufruf, Compliance aus der rein regulatorischen Ecke zu holen und als Werttreiber in der Gesamtstrategie einer Bank zu verankern. Dabei geht es nicht um kosmetische Veränderungen, sondern um ein tiefgreifendes Umdenken in folgenden Perspektiven:

Von der Kontrollinstanz zur strategischen Funktion und damit von der klassischen Sichtweise, Risiken zu verhindern, hin zu einer neueren Sichtweise, in der Compliance aktiv den regulatorischen und ethischen Rahmen formt, in dem neue Geschäftsmodelle sicher, skalierbar und vertrauenswürdig wachsen können. Beispiel: Wenn eine Bank frühzeitig DORA-konform agiert, kann sie schneller digitale Services für kritische Finanzinfrastrukturen anbieten – mit höherer Sicherheit und besserem Marktzugang.

Von der reinen Kostenlast zur Effizienzquelle, also weg von der reinen Aufwands- und Geschäftsbehinderungsbetrachtung hin zu Ressourceneffizienz, Minimierung von Fehlerquellen und Prozessbeschleunigung durch Technologie- und Datenintelligenz. Beispiel hierfür: Automatisierte KYC-Prozesse mit risikobasierter Tiefe ermöglichen nicht nur regulatorische Konformität, sondern auch ein schnelleres Kunden-Onboarding – und damit schnelleren Umsatz.

Mustererkennung statt Einzelfallbearbeitung. Von der reaktiven Bearbeitung einzelner Fälle hin zur proaktiven Erkennung von Mustern, Anomalien und Trends, idealerweise noch bevor konkrete Risikofälle entstehen. Integrierte Transaktions-Monitoring (TM)- und KYC-Systeme ermöglichen es zum Beispiel, Trade-Based Money Laundering frühzeitig zu erkennen – durch Verknüpfung von Transaktionsdaten, Lieferketteninformationen und Screening-Ergebnissen.

Reputationsschutz statt Einhaltung der Mindeststandards. Statt sich klassisch von den Abschlussprüfern treiben zu lassen, die nicht selten der wahre Feind eines risikobasierten Ansatzes sind, sollte der Fokus weg von der Häkchen-Setzerei und dem Bestreben, bloß keine Beanstandung zu erhalten, hin zu einer Sichtweise gelenkt werden, in der die Compliance als Qualitätsmerkmal gegenüber Kunden, Investoren und Regulatoren und damit als Teil der Markenidentität des Instituts wahrgenommen wird. Eine Bank mit transparenter ESG-Compliance, robustem AML-System und nachweislich wirkungsvollen Prozessen hat beispielsweise einen klaren Reputationsvorsprung unter anderem bei institutionellen Kunden.

Natürlich sind das idealtypische Veränderungen. Die Tatsache, dass Institute ihre Compliance nach einer Kombination aus regel- und prinzipienbasierter Regulation ausrichten müssen, erfordert eine ausbalancierte Mischung jeder dieser Veränderungsperspektiven sowie deren harmonisches Zusammenspiel. Man darf folgendes feststellen: Wer Compliance nur als Muss begreift, verliert auf Dauer Effizienz, Kundenvertrauen und Relevanz. Wer Compliance aber neu denkt, als technologiegestützte, risikobasierte, skalierbare und strategisch eingebettete Funktion, der schafft Raum für Innovation, Wachstum und nachhaltige Differenzierung, die sich im Einzelnen wie folgt darstellen lassen:

1. Effizienz und Skalierbarkeit

Wer Prozesse automatisiert, klare Governance-Strukturen einzieht und intelligente Technologien einsetzt, spart signifikant Kosten – besonders bei Transaktionsvolumen, Kundenzahl oder geografischer Reichweite. Gerade in internationalen Geschäftsmodellen skaliert eine gute Compliance-Architektur wirtschaftlich.

2. Geschwindigkeit und Time-to-Market

Banken, die regulatorische Anforderungen früh antizipieren und flexibel in ihre Systeme integrieren können, bringen neue Produkte schneller auf den Markt, z. B. im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr oder bei neuen KYC-Prozessen für digitale Kunden.

3. Kundenvertrauen und Reputationsvorsprung

Gerade im B2B-Geschäft ist eine verlässliche Compliance-Kultur ein Qualitätsmerkmal. Kunden schätzen Banken, die regulatorische Anforderungen nicht nur erfüllen, sondern transparent, professionell und nachvollziehbar umsetzen.

4. Bessere Entscheidungsqualität

Eine datengestützte Compliance-Funktion, die z. B. Kundendaten aus KYC, Monitoring und externen Quellen intelligent zusammenführt, ermöglicht auch bessere Geschäftsentscheidungen – etwa bei der Risikoanalyse von Geschäftspartnern oder der Bewertung von Onboarding-Fällen.

5. Resilienz und Krisenfestigkeit

Banken mit robuster Compliance sind besser gegen externe Schocks gewappnet – sei es ein geopolitischer Konflikt, neue Sanktionsregime oder regulatorische Ad-hoc-Prüfungen. Wer vorbereitet ist, kann schneller reagieren – und handlungsfähig bleiben.

Compliance kann also sehr wohl einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil darstellen, wenn man sie nicht nur als Erfüllungspflicht, sondern als strategischen Wertbeitrag versteht. Der Vorteil liegt nicht im Regelwerk selbst, sondern in der intelligenten, technologisch gestützten, risikobasierten Umsetzung.

Die für diese Veränderung relevanten Dimensionen sind:

  • Intelligente Technologien. Automatisierung, Machine Learning, Cloud-native Compliance-Architekturen, RegTech-Lösungen – sie machen aus Daten Entscheidungen und aus Routinen skalierbare Prozesse. Dies gelingt aber nur, wenn sie richtig eingebettet und trainiert sind.
  • Qualifizierte Menschen. Kein Compliance-System ersetzt Urteilskraft. Die Expertise von Analysten, MLROs und Governance-Verantwortlichen ist entscheidend – bei Modellvalidierung, Szenarien-Bewertung und Risikoabwägung. Technologie, ganz gleich welche, ist ein Werkzeug. Menschen sind zumindest derzeit noch die Architekten und Entscheider.
  • Strategischer Ordnungsrahmen. Gemeint ist vor allem Risikoorientierung, Proportionalität, Nachhaltigkeit und Revisionssicherheit. Nur wenn Governance, Richtlinien und Verantwortlichkeiten klar definiert sind, kann Technologie wirksam eingesetzt werden. Ohne Rahmen bleibt auch der beste Algorithmus wirkungslos, und das ist dann noch die positivste Sichtweise.

Daraus lässt sich die folgende, plakative Formel ableiten:

Technologie × Kompetenz × strategischer Ordnungsrahmen = nachhaltiger Compliance-Vorsprung

Das „ד steht für die Verstärkung durch Kombination: Nur zusammen entfalten diese Elemente ihren vollen Nutzen.

Im Zusammenhang mit einer zukunftsfähigen Compliance tauchen immer wieder zwei Begriffe auf, die vielfältig diskutiert werden: Disruption und Künstliche Intelligenz (KI).

Disruption ist kein neues Feature oder ein agilerer Prozess. Disruption bedeutet Systembruch: das Verlassen etablierter Wertschöpfungsketten und Rollen. In der Compliance könnte das bedeuten:

  • der Wechsel von bankindividueller Compliance zur "Compliance as a Service"
  • die regulatorisch anerkannte Umsetzung von Gesetzen in maschinenlesbaren Regeln
  • die Integration von Compliance in Echtzeitprozesse (z. B. Embedded AML in API-Ketten)

Das Problem bei Disruption scheint die Komplexität im Verständnis zu sein. Viele sprechen von Disruption, meinen aber im besten Falle Folgeinnovationen. Diese Problematik hat der Erfinder der disruptiven Innovationstheorie, Clayton Christensen, dazu berufen, seine Strategie noch einmal im Jahr 2020, kurz vor seinem Tod, richtig zu stellen, da sie so oft fehlinterpretiert wurde. Ein echter "Rethink Compliance"-Ansatz muss erkennen, wo inkrementelle Verbesserung endet, und strukturelle Veränderung beginnt. Ansonsten drohen Fehlallokationen. Und damit kann man überleiten zu dem zweiten, oft überinterpretierten Begriff im Compliance-Kontext, der Künstlichen Intelligenz (KI). KI ist ein Verstärker, aber, zumindest bislang, kein Disruptor. KI verstärkt bestehende Wettbewerbsvorteile, erzeugt aber für sich genommen keine neuen, wie die Strategielehre bereits in einigen Fachartikeln (z.B. Barney/Reeves) darstellen konnte. Sie verstärkt technologische Möglichkeiten, wie z. B.:

  • Effizienz. Automatisierung repetitiver Prozesse (z. B. Alert-Triage)
  • Erkennung. Mustererkennung in großen Datenmengen (z. B. in TM oder KYC)
  • Entscheidungsunterstützung. Scoring, Clustering, dynamische Risikomodelle

Ohne menschliches Urteil (Bias-Prüfung, Modellvalidierung) und ohne Governance (Erklärbarkeit, Revisionssicherheit und regulatorische Compliance im Technologieeinsatz selbst) gelingt ihr aber auch dieses nur in sehr geringem Maße. Stattdessen entwickelt sich ein unkontrollierter eigenständiger Risikobereich, der potenziell mehr Schaden anrichtet als diesen zu mitigieren. Doch das sollte den Wert, den KI in der Compliance beitragen kann, keineswegs schmälern, sondern den Begriff nur korrekt einordnen. Die oben schon erwähnte Formel sollte aus diesem Grund wie folgt erweitert werden:

(KI × Technologie) × (Fachliche Kompetenz + Urteilsfähigkeit) × (Governance + Strategische Anpassungsfähigkeit) = nachhaltiger Compliance-Vorsprung

Künstliche Intelligenz in all ihren Facetten, einschließlich der KI-Agenten, ist selbst ein Teilbereich der Technologie. Die Schreibweise „KI × Technologie“ wirkt daher auf den ersten Blick redundant oder mathematisch unsauber. KI ist aber auch in bestimmten Bereichen nicht zuletzt wegen der Autonomie vom Menschen, hier sei vor allem die Generative KI genannt, „mehr“ als die bisher bekannten Technologien. Die oben genannte Formel berücksichtigt diesen Aspekt und stellt auch die Kombination von KI mit anderen Technologien verstärkend dar. Hier sei beispielsweise Robotic Process Automation (RPA) angeführt, die mit KI in Kombination einen deutlichen Bedeutungsschub auch für die Compliance darstellt. Der in der Formel verwendete Technologie-Begriff umfasst daher ein breites Spektrum, das von klassischer IT-Infrastruktur über Cloud-native Plattformen, API-Ökosysteme, regelbasierte Systeme, Workflow-Tools und nicht zuletzt RegTech-Anwendungen reicht.

Konstruktive Kritik ist immer sinnvoll. Und gerade wenn Begriffe wie „Rethink“ oder „Disruption“ fallen, ist diese Kritik angebracht, da sie im Marketing-Einerlei zu reinen Worthülsen zu verkommen drohen. Das war einer der Beweggründe des Autors für diesen Blogartikel. Die meistgehörte Kritik kann man auf folgende Aussage zusammenfassen: „Das ist doch alles nichts Neues! Alles kalter Kaffee.“ Und dem kann man in Teilen zustimmen. Die Forderung ist keine neue, aber die Umsetzung muss vielerorts noch erfolgen. Beispielsweise sind risikobasierte, adaptive KYC-Systeme in den Instituten bis heute kaum anzutreffen. Compliance-Dashboards sind dort, wo sie implementiert sind, nett anzuschauen, spielen aber als Steuerungselement selten eine Rolle, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hinzu kommt ein Trend, den alle wahrnehmen, aber in seinen Konsequenzen möglichst negieren möchten: Die Rahmenbedingungen für Compliance ändern sich dramatisch. Das hat Folgen für den zuvor genannten Ordnungsrahmen. Etwas provokant ließe sich entgegnen, dass derzeit versucht wird, den aktuellen Herausforderungen mit Mitteln aus dem letzten Jahrhundert zu begegnen. Man kann erkennen, dass das in anderen gesellschaftsrelevanten Bereichen schon nicht funktioniert. Im Institut sind die Grenzen der permanenten Erhöhung des Aufwandsbedarfs durch schwindende Margen bis hin zur Infragestellung einzelner Geschäftsmodelle erfahrbar. „Working smarter, not harder“ hat sich in der Compliance noch nicht durchgesetzt. Nicht, weil man nicht erkannt hat, dass dies notwendig ist, sondern weil man mit der Umsetzung hadert. Genau hier setzt ein „Rethink Compliance“ an.

Fazit: Fortschritt in der Compliance benötigt Differenzierung

Disruption fordert Compliance grundsätzlich heraus und verändert ihre Systemlogik. KI beschleunigt und verbessert Compliance, erfordert aber strategische Einbettung. „Rethink Compliance“ bedeutet, beide Phänomene ernsthaft und differenziert in die Zukunftsgestaltung einzubinden. Nur wer beides versteht, kann aus Compliance mehr machen als eine Pflicht: nämlich einen echten strategischen Vorteil.

Autor

Dirk Findeisen Portrait

Dirk Findeisen

Managing Partner

Experte für AFC-​​Compliance | >20 Jahre Erfahrung im Bereich Governance, Risk & Compliance (GRC), Data Management, Advanced Analytics und Corporate Performance Management | Autor, Redner, Dozent